Musiklehre jenseits der Technik – Ein Blick in andere Kulturen
- Nils Caspar

- 24. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Wenn wir in Europa von Musiktheorie oder Technik sprechen, klingt das für viele trocken, abstrakt, manchmal sogar abschreckend. Es riecht nach Regeln, nach einem System von richtig und falsch – nach etwas, das „im Kopf“ bleibt.
Doch in vielen Kulturen dieser Erde wird das, was wir als „Technik“ und „Theorie“ verstehen, ganz anders gedacht: als lebendiges Wissen, als Tor zum Bewusstsein, als Wissenschaft der Schwingung.

Ein kleines Glossar anderer Kulturen
Indien
Sāstra (शास्त्र) – bedeutet „Wissenschaft, Lehre“. Sangīta Śāstra ist die Wissenschaft des Klangs, ein Gesetz des Lebens, nicht nur ein Handbuch für Tonleitern.
Rāga (राग) – „Färbung der Seele“. Jeder Rāga ist eine Stimmung, ein Lebewesen aus Tönen, verbunden mit Tageszeiten, Jahreszeiten, Seelenzuständen.
Tāla (ताल) – „Handfläche, Rhythmuszyklus“. Rhythmus wird hier verkörpert, nicht gezählt.
Arabisch-persische Welt
‘Ilm al-Mūsīqī (علم الموسيقى) – „Wissenschaft der Musik“. Ein spirituelles Forschen in der Schwingung.
Maqām (مقام) – bedeutet „Ort, Station“. Jeder Maqām ist ein seelischer Ort, den man durch Klang betritt.
Antikes Griechenland
Mousikē (μουσική) – nicht nur Musik, sondern alle Künste unter den Musen: Tanz, Dichtung, Bildung.
Harmonia (ἁρμονία) – „Fügung, Verbindung“. Musik war die Wissenschaft des Kosmos – ein Spiegel der göttlichen Ordnung.
China
Lǜlǜ (律呂) – Tonsystem und zugleich „Ordnung der Natur“.
Musik war stets in Beziehung zu Yīn-Yáng und den fünf Elementen (五行) gedacht – als Heilung der Harmonie zwischen Mensch und Kosmos.
Afrika (z. B. Westafrika)
Musiklehre existiert hier nicht als schriftliche Theorie, sondern als verkörperte Praxis.
Rhythmus wird als Sprache verstanden. Trommeln sprechen, Technik ist Kommunikation.
Was diese Sichtweisen gemeinsam haben
In all diesen Kulturen ist Musik nicht von Leben und Kosmos getrennt.
Theorie ist keine abstrakte Regel, sondern eine Wissenschaft der Schwingung.
Technik ist kein Korsett, sondern ein Tor zur Erfahrung.
Musik wird als Verkörperung, Sprache und Heilung verstanden.
Und bei uns?
In Europa war das nicht immer anders. Schon Pythagoras sprach von der Musik als kosmischem Gesetz, die mittelalterlichen Mönche verstanden Gesang als Gebet, und Volksmusik war vor allem eines: gelebte Kultur.
Doch mit dem Aufstieg der preußischen Bildungssysteme – geprägt von Kriegsnationen, die Gehorsam und Gefolgschaft verlangten – wurde Lernen zunehmend zu einem statischen, mentalen, reglementierten Prozess. Musiktheorie wurde in Notenbücher gepresst, Technik zur Pflichtübung, Bildung zum Drill.
Zeit für eine Rückkehr zu den Wurzeln
Heute spüren viele, dass es an der Zeit ist, sich zu erinnern: Musik ist mehr als Regelwerk. Sie ist Sprache, Medizin, Kosmos, Ausdruck des Lebens selbst.
Wenn wir die alten Perspektiven anderer Kulturen – und auch unserer eigenen – wieder ernst nehmen, können wir Technik neu verstehen: nicht als Gefängnis, sondern als Schlüssel zu Freiheit, Bewusstsein und Selbst-Ausdruck.
👉 Genau darum geht es in meiner Arbeit: zurückzuführen zu diesem Ursprung, an dem Musik wieder lebendig, verkörpert und tief verbunden ist.



Danke für diesen schönen Blick auf die Musik 🫶