Ich werde was ich bin.
Aktualisiert: 22. Nov. 2021
Lyrik als Mittel der Selbsterkenntnis. Wird Lyrik als Mittel zur Freiheit gebraucht...
Wird Lyrik als Mittel zur Freiheit gebraucht, pellt sie die Schichten des Selbst,
bis der unverkennbare Wert des Menschen, seine Essenz, seine höchste Identität, frei gelegt wird. In diesem Vorgang zeigt sich die Lyrik als Mittel der Selbsterkenntnis, als Mittel der Selbstermächtigung. Die Deutungshoheit über mein Selbst liegt nun ganz und gar in meiner Hand. Keine fremde Instanz kann sich in diesem, meinem Wissen über mich erheben.
*
Freiheit.
Eigenständigkeit.
Volle Verantwortung.
Mit den Worten Hilde Domins, „wird Lyrik als Mittel zur Freiheit gebraucht,“ stellte sich ein neues Wissen über einen Umstand in mir ein, den ich bereits öfters beobachtet hatte und intuitiv in meiner Schreibpraxis verfolgte. Der beim Schreiben entstehende stille Raum ermöglichte es mir tiefer in mein Selbst vorzustoßen, Schicht um Schicht meiner Gedankengebilde zu durchdringen und zu verstehen, mich loszusagen wenn ich das wollte und jenseits meiner juckenden Wunden, ein mir ganz vertrautes, heiles Wesen zu berühren nachdem ich mich sehnte, wohin mich mein Wunsch nach Freiheit führte.
In meinen jahrelangen Auseinandersetzungen mit essenziellen Lebensfragen und der Erprobung passender Methodiken zur Annäherung an die Beantwortung der Fragen, darunter vor allem fern östliche und südamerikanische Praktiken, stellte ich immer mehr fest, dass ich das Schreiben selbst, insbesondere das Dichten, genau zu diesen Praktiken zähle. Das Dichten fordert mich auf, den Platz in mir zu wechseln und das Leben von einer übergeordneten Ebene aus zu betrachten.
Die Flüsse zusammen fließen,
das Herz der Nacht erkennen,
der Stille Raum
Ich bin
Der Stille Raum, die Insel jenseits des Stromes, Sein außerhalb der Zeit. Je häufiger ich die Insel besuche desto tiefer wirkt sie in meinen Alltag hinein. Dichten als Praxis der Vereinigung mit meiner höchsten * .
Selbstverwirklichung. Dichten geht über das Dichten hinaus. Meine Identität reicht über den Moment der Erkenntnis hinaus. Machmal oder eigentlich immer brauchen wir aber Übung darin das zu verstehen. Dafür brauchen wir eine Praxis. Dichten ist eine solche Praxis, um zu sein (werden) was ich bin.
Nils Caspar
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